Die Geschichte des Waldkindergarten "Kinderwald"

Über das Kapitel "Wie gründe ich einen Waldkindergarten in Baden Württemberg?" werden wir eine Extra-Sparte schreiben, Nein, besser eine Extra-Homepage! - Somit beginnen wir mit unserer Geschichte an jenem Tag, an dem alles begann: Wir schrieben das Jahr 2003 und hatten den ersten Tag des neunten Monats September. Freudestrahlen erhellen mein Antlitz beim Gedanken an unsere erste Begegnung mit Kindern und Wald. (Deshalb auch diese theatralisch-euphorische Rekonstruktion des uns Widerfahrenen.)
So gingen wir also mit unseren ersten beiden Kindern, einem Jungen und einem Mädchen gleichen Alters, die folglich auch die Begründer des Waldkindergartens sind, ausgerüstet mit einem Waldhandy, Wasser und Wascherde, Klappspaten und passender Kleidung in unser, vom Forstamt und der Stadt Tauberbischofsheim genehmigtes, Waldgebiet.
 
Der Wald ist durch seine Vielfalt an Bäumen und anderen Pflanzen, seine grossen und kleinen Schluchten und seine vielen Wegen ein ausgesprochen schönes Terrain für uns. An unserem Hauptplatz befindet sich eine kleine, nach zwei Seiten offene Hütte, und mittlerweile ein grosser, und dank aller Mitwirkenden, ausgebauter und restaurierter Zirkuswagen (7m lang, 2.30 m breit). Gleich an unserem ersten Tag geschah etwas Erstaunliches: Die Eltern der beiden Kinder verabschiedeten sich nach unserem Morgenkreis, und das Gegenteil des Erwarteten traf ein. Die beiden dreijährigen Kinder, die uns nur flüchtig kannten, genauso wie den Wald, sagten einfach nur "Tschüss!" und "Wann kommst Du wieder?". Nachdem wir unsere Unterkiefer wieder am richtigen Platz hatten, wurde mit den Kindern gespielt und die Umgebung erkundet. Die Entwicklung ist nicht von der Hand zu weisen. Die Themen "Ich kann nicht mehr laufen, ich kann meinen Rucksack nicht tragen" und das in den ersten beiden Wochen häufige Stürzen waren bald Schnee von gestern. Die Motivation, in den Kindergarten zu kommen, war laut den Eltern so gross, dass sogar das Wochenende zu lange war. Die Kinder benannten den gefundenen Müll im Wald als Müll, den "böse Leut´" in den Wald werfen, der die Tiere und den Wald krank macht. Womit wir bei den Regeln wären, die überwiegend von den Kindern aufgestellt wurden, wie z.B.:

Nichts essen, was aus dem Wald kommt
  • Keine Pilze, Pflanzen oder sonstiges Lebewesen ärgern, verletzen oder töten (die müssen sonst weinen)
  • Wir bleiben beim Essen sitzen und waschen vorher die Hände
  • Wir sind lieb zueinander und brüllen nicht mutwillig herum

Außerdem werden wir von Ramses (einem Hund - siehe Foto auf der linken Seite) begleitet, der für die Kinder eine wesentliche Rolle spielt: Er wird geliebt. Auch eine Handpuppe ("Rabe") besucht uns öfter im Wald, und auch "Poldi der Bäumepflanzer" (ein Kiefernzapfen) schnalzt hin und wieder über unseren Weg. Unser drittes Kind war schon bald im Kindergarten und es scheint, als wäre er von Anfang an dabei. Wir haben verschiedene Ausflugsziele, welche die Kinder namentlich benennen. Der Reitplatz mit Pferden, die selbstgebaute Hütte, die grosse und die neue Schlucht, der Wolfsturm, die Obstbaumwiese, Tropfsteinhöhle und das Silberbrünnle werden nach gemeinsamen Abstimmungen angegangen. Auch werden neue Geheimplätze entdeckt oder einfach am Wagen geblieben. Rollenspiele finden wie im Regelkindergarten statt. Die Themen, die aktuell sind, werden bearbeitet, wie Vater- Mutter- Kind, Angeln mit Stöcken, Motorrad, Zug und Auto fahren auf Baumstämmen und -stümpfen, Essen kochen mit allem gefundenen Material. Die Kinder balancieren auf Stämmen, klettern auf Bäume und erklimmen Schluchten. Wertvolle Erfahrungen im Umgang mit Grenzen, Selbstwertgefühl, Selbstbewusstsein, Selbständigkeit und Miteinander werden in der grossen Schlucht gemacht. Der Moment, als kleines Kind unten in einer Schlucht zu stehen war sehr grenzwertig, genauso wie die anfänglich missglückten Versuche sie zu erklimmen. Wir standen oben und liessen unserem "ermutigungspädagogischem" Fachwissen freien Lauf. Nach einiger Zeit, viel Ausdauer und grossem Kampf kam das Kind nach oben und war unwahrscheinlich stolz. Inzwischen sind derartige Abenteuer nicht mal mehr der Rede wert.
Basteln können wir im Wald übrigens auch: Wir legen Bilder aus Naturmaterial mit Rahmen aus Stöcken, stellen unsere Martinslaternen selbst her, bauen einen Adventskranz, benutzen Schere und Stifte im Wagen und ausserhalb und kneten mit Erde Kugeln und Würste (was für dreijährige Kinder genau der Entwicklung entspricht). Unser Winterholz machen wir auch mit den Kindern zusammen. Hier führen wir ein Paradebeispiel der Ganzheitlichkeit, Situationsorientiertheit und Projektarbeit an: Wir suchen tote Bäume (Kinder unterscheiden tote von lebenden Bäumen), fällen sie mit der Säge und schneiden sie in ofengerechte Stücke. Die Kinder helfen eifrig beim Wegtragen und Aufsetzen (Einer spielt Kran, ein Anderer Gabelstapler und der Dritte setzt sie auf, was mich an die Ordnung bei der Montessori-Pädagogik erinnert). Nun ist es kalt geworden, der Wagen fertig und das Holz wird verbrannt. Die Kinder sehen, dass durch ihre Handarbeit Wärme im Zirkuswagen entsteht: Das vermittelt ihnen ein tolles Gefühl! Aus einem anderen Baum wird ein Stuhl, ein Tisch, ein Bänkchen und mehrere Sitzhocker in Kindergröße gebaut. Der Martinsumzug findet mit Pferd und Reiter und vielen Gästen und Laternen im Wald statt. (Hier noch mal herzlichen Dank an die lieben Menschen vom Reitplatz Tauberbischofsheim.) Geburtstag feiern mit Mittelbild und Nikolausfeier mit Nikolaus bereitet den Kindern grosse Freude. Auch die erwachsenen Gäste sind jedes Mal schlichtweg begeistert von unseren Aktionen, die durch das Flair des Waldes eine magische Stimmung hervorrufen.

Kreispiele im Morgen- und Abschlusskreis, Lieder singen, auf englisch, französisch, italienisch zählen, Gesprächsrunden oder gezielte Angebote gehören zum Alltag. Mittwoch ist der Tag, an dem wir jede Woche Besuch von unseren vorangemeldeten zweijährigen Kindern bekommen. Hier läuft eine weitere Person zur Betreuung mit. Die zweijährigen haben großen Gefallen gefunden und werden von den grossen Kindern schon immer sehnsüchtig erwartet. So fällt diesen Kindern der Einstieg in den Kindergarten, wenn sie drei Jahre alt sind, besonders einfach.

An dieser Stelle verweisen wir auf eine pädagogische Zusatzseite, die unseren Kinderwald an einem Tag praktisch fokussiert, und zwar in Tagesablauf im Waldkindergarten "Kinderwald".
Weitere pädagogische Theorieanteile sind auf der Seite Konzept zu finden.